„Töpfers Grundbefinden“

 

Irden – Ware / Stein – Zeug
Darin liegt schon viel gesagt.

Ein irdenes Gefäß im Arm – keinen „Stein“.

Irdenware ist Sommerware. Im Winter das Mürbe.

„Von fernher ein Gewitter. In Maiwälder bricht die Wolke auf.“

Schaumkraut, Ackerwinde. Ein Kuckuck.
Der heilige Ginster. Fingerhut.

Irdenware – Herb’ und Süsse kleiner Welten. Die Wege kurz.
Die Wallfahrt lang. Die Jahre eine Wildfrucht.
Unwiederbringlich.

Ein ungeheurer Abschied über der Welt,
jeden Tag, von jeglichem Haus.
Noch einmal Irdenware –
im stillen Vogelflug,
im Rückblick.
Noch einmal schlägt der Birnbaum ans Dach in schwarzer Nacht.
Schneeifel – –

Wo früher Hohlweg mit Holunder -: Aral macht keine Irdenware.
Stehst verloren da. Lebst von Verlorenem. Und machst Blütenteller ohne Duft.

„Im Bewusstsein, dass wir uns weiter ins dunkle Zeitalter hineinbewegen, seinen Weg finden.“ Peter Brook, 2004

Mutter Erde, erkaltet zum Objekt, in Reservaten. Sinn und Sinne geplündert. Müllkippen bis ins Jenseits. Jeder auf sich gestellt. Flüchtig alles. Jetten, virtuell… Nivellement. Erschöpfung! Still geh’n die Arten mit den Eigenarten –

Kein Stein bleibt derzeit auf dem anderen. Auflösung. Muren. Im Strudel alles.

Das Apfelbäumchen, das oft genannte: Blättchen in die Erde, Wurzeln in die Höh’.

Erwin Chargaff, Biochemie, Nobelpreis: „… Die Menschheit hat nicht gelernt…, Einhalt zu gebieten diesem schwindelerregenden Taumel: eine geometrische Progression von Katastrophen, die wir, bevor sie geschehen sind, unter dem Ausdruck ‚Fortschritt‘ zusammenfassen.“
(„Das Feuer des Heraklit“, ‘78)

Wie anrührend: In altem Holz ein geschmiedeter Nagel !
Er saß richtig. War lange gereift – war „richtig“. Von Hand und Auge gewendet und gewachsen, aus einem Augenblick kraftvoll hervorgegangen. Die ganze Sinn- und Heimatfrage in einem alten Nagel. Existenz aus purem Gold.
Eine Tasse, ihm verwandt, einmal anrührend…

„Kehren wir zum Alten zurück – und es wird ein Fortschritt sein“ (Giuseppe Verdi, 1861)

Mir ist wichtig, kein „Keramiker“ zu sein.

Nimm eines dieser Hefte – Machbarkeitskeramik! Technisch aberwitzig. Die Einkaufstaschen voller Möglichkeiten…

„Töpfe, die gebraucht werden, haben Sinn und Bedeutung.“ – Freundlich gesagt, Michael Cardew!

„Töpfer“ – nämlich „Topf“: In des Wortes lautmalerischer, anspruchsvoller, sinnbildender, fester, beruhigender, menschenfreundlicher, rückbindender – in des Wortes ganzer unzeitgemäßer Bedeutung!

Beim Drehen:
Teeschale – Fahrt aufs unbekannte Meer.
Teeschale – Weg zum Herzen des Steins.
Nur der Wind, der sie treibt…

Um jeden Enthusiasten ist mir leid, der eine Schule aufsucht.

Museen! Nase platt drücken! Jahre! Innerer Zwang, dem mit nichts mehr beizukommen ist. Vertrauen in die eigene Ruderbank und aufs Hohe Meer.

Gegenwart dringt ein durch alle Hinter- und Nebentürchen.
Kommt Sie vorn herein – „was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn“. (Friedrich Schiller, Demetrius.)

„Walter, es ist sehr leicht, eine Sache interessant zu machen – aber sehr schwer, sie richtig zu machen.“
(Gustav Mahler zu Bruno Walter.)

Wer alles weiß, weiß noch längst nichts vom Henkel.
Umgekehrt wär’s ein Segen. Aber Segen wird immer rarer.

Ein Flugzeug ist bis ins Detail ein Flugzeug, sonst stürzt es bekanntlich ab, eine Brücke bis ins Komma Brücke…
Man klopft sich auf beide Schultern, Tassen, Teller, alles mögliche abstürzen zu sehen.

Oder Design!
„Schönheit ist Tiefe der Fläche“, sagt Friedrich Hebbel.
Design ist nur Fläche.
Van Gogh: „Den Glauben bewahren, dass alles viel wunderbarer ist, als man fassen kann, denn das ist die Wahrheit.“
Nichts für Designer.
Rilke: „Schönheit ist immer etwas Hinzugekommenes, und wir wissen nicht was.“
Zum Design der Biennale-Preis.

Irdenware ist Gebrauchswonne.
Töpfers Depressivum, Wiedersehen mit einer Tasse: Gummis, Heftklammern, Briefmarken, Kugelschreiber. Napfschüssel auf Blumenständer,
TV-Programm… „Gangesgott unter der Pendeluhr, welcher Spott in deine Lotosflur!“

Wilhelm Grimm, 1819: „Die Anhänglichkeit an das Überlieferte ist bei Menschen, die in gleicher Lebensart unabänderlich fortfahren, stärker, als wir, zur Veränderung geneigt, begreifen. Eben darum hat es, so vielfach bewährt, eine gewisse eindringliche Nähe und innere Tüchtigkeit, zu der anderes, das äußerlich viel glänzender erscheinen kann, nicht so leicht gelangt. Der epische Grund der Volksdichtung gleicht dem durch die ganze Natur in manngifachen Abstufungen verbreiteten Grün, das sättigt und sänftigt, ohne je zu ermüden.“

„Schönheit ist das von uns erblickte Spiegelbild einer außerordentlichen Freude der Natur.“ (Friedrich Nietzsche.)

In diesem Sinne Bernard Leach, sein „Töpferbuch“: „Gute Töpferarbeiten sollten alle jene Eigenschaften aufweisen, die wir auch an Menschen am meisten bewundern.“

„Das Schaffen von Schönheit ist Kunst.“ (Ralph Waldo Emerson.)


Als Gymnasiast eine Töpferei von innen gesehen. Das war alles.
Albert Wingenter, Münchwald, vier Nachmittage.
Späte Unruhe, jahrelanges Zeichnen: Eindrücke, Einfälle, Überfälle aus beiden Händen. – München, Frankfurt, Diessen, Otterndorf… Reinhild und Stephan Emmelmann, Jörg von Manz, Reinhard Linke, Monika Drescher, Christoph Möller, so stürmisch wie scheu verehrt, „der Gucker“ vom Ammersee, so viel gelernt, so sehr erwacht.
1988 erstes Drehen. 1990 erster „Süddeutscher Töpfermarkt“ (wunderbares Areal am Eingang).

1988. Zu Fuß Angersdorf, Kirchberg, Bödldorf… Wolkenloser Sommermorgen, es würde heiß werden. Fern, in flimmerndem Hügelland, die Nadel einer Kirchturmspitze – dort musste Jesendorf sein! Zwei Schritte vom Weg, im schattigen Mais, eine Scherbe, klein, blank, auf dunkler Erde.
Erschütterung – . Ich sah ihnen nach, den Bündelpfeilern, Arkaden einer mächtigen Kathedrale – wie sie seitwärts von mir wichen, von weit her das frühe Blau, den ganzen hohen Morgen überwölbend – ich stand im Eingang, bereits im Mittelschiff – und vorn war Jesendorf!

– Kirchberg, Bödldorf… Hinter mir, blass, über flachen Waldhorizonten, die Dampf-Menetekel von Ohu. Vor mir, in perlmutt’ner Ferne, Jesendorf: 16 Häuser, 15 Öfen – . Ich stand geborgen, aufgenommen von Jahrhunderten, dem abgeschiedenen, himmelnahen Meer der Wälder und Flecken Korns: Auf dem Kröning. In der „Hafnerstadt“. Mir war zumut’, an diesem Morgen weit hinaus zu rufen wie Raskolinikow: Hub, Öd, Leiersöd… alle hier – „ihr seid ewig, so lange die Welt steht!“

„Ich bin, die ich bin!“ – absolute Form – „Ich will all meine Schönheit an dir vorüberziehen lassen…“

Maß zu Maß, Form zu Form. Nie geläuterter, nie reicher.
Vollkommene Stille. „formstill“. – Vollkommen im Gebrauch.

„beim Zuckerbacher“ (Foto 1910). – Ohne Zögern, aus dem Stand die straff gespannte „Wampen“ bis zur Lippe, vorspringend aufgesetzt als schmale Kehle oder fein gekerbten Reif. – Leuchtende, durchflutete Form.

Stolz und Können. Kraft der Sinne, Kraft der Klugheit.
Reines Dasein!

Gelassenheit. – Traum, es träumt, es macht, der Henkel träumt sich…

Die Schüsseln des Kröning – Dreiklang von unübertroffener Prägnanz –: „Napf“, Rührschüssel, der Küche vorbehalten – ganz fließend, ganz „weiblich“. Völlig im Gegensatz zur „männlichen“, der „Suppenschüssel“, der allen gemeinsamen: ihrer bestimmenden, rigorosen Haltung, der dreiteiligen Krone des überschlagenen Randes, einer überaus kunstvollen, gleich vier- und mehrfach im Anspruch: Streifrand, Stoßteil, Drahtrille, Tropfkante… Beide sich treffend in der „seiften“ – oder „Nudelschüssel“, der ebenfalls gemeinsamen bei Tisch, „gegessen wurde von Holztellern.“

Die prachtvolle „runde Rein“, das „Bettlhaferl“…
Der „Krug“, ganz zurückgenommen, in rührender Lauterkeit und Anmut, schnörkelloses Urbild, reine Idee.

Allen ein innerer Glanz – Wahrheit – pure Schönheit.

„Rasse“, sagt man. Ich nenne es „Licht“. Und meine damit, ein diesseits der Alpen beispielloses Phänomen zu fassen – DAS Ereignis des Kröning:
Unweit des machtvollen Hans Leinberger, des Jüngsten Tages im Faltengeläut seiner Landshuter Madonna, haben sich Mittelmeer und Ägäis auf den Kröning verirrt: im Föhn, als Licht – und sind dort geblieben. Ton, Menschen, Jahrhunderte – in diesem Licht! Und die Hafner des Kröning hielten darauf, (so Lambert Grasmann), „ihr Handwerk von fremden Einflüssen, anderen Geschirrformen und Arbeitsweisen frei zu halten.“

Kaum gestaltet, ungebunden, ausschweifend, kaum Dekor zu nennen – das Formlose zur Form! Geträufelt, angeworfen aus kleinem Reisig, flüchtig alles – der Himmel breitet seine Geschenke aus: in schweren Tropfen, Feuchte und Flecken, Wind und Wetter… es schneit die ersten Flocken…

Einer der grossen Schätze der Glasurästhetik: das rätselvolle, unergründliche „Kröninger Blau“ – untergegangen im Forschritt – niemand wird es je wiederfinden.

– Nur unser Herbstlaub Jahr für Jahr! Das kostbare, mehlige Gelb meiner Kirsch- und Apfelblätter im Sommer:

„glorios und ewig“!

Angersdorf. Als mich der jugendliche Erneuerer seines mittelalterlichen Vierseithofes bei 30 Grad mit Pickel und Plastikbeutel aus Wald und Feldern kommen sah, bestimmte er mich zum Herrn über Kisten voll Scherben aus den alten Böden – : Brot und Wein für mehrere Leben!

Bald wirft sie jemand weg – als Hobby, wie man Bierdeckel wegwirft.

Ich habe Euch geliebt wie die Sonne! Weh und übermächtig seid Ihr wie die Sonne!

4. Januar 2009
Sammlung aus 30 Jahren.

Hubert Klinkel


Nachts, auf 18.2.2007

Jemand ist heiliggesprochen worden, und ich stehe in der Kirche, in der diese Heiligsprechung stattgefunden hat.
Ich bin jetzt nahe vorm Altar und sehe: da ist kein „Allerheiligstes“ mehr, sondern zentral und an seiner statt und zu meiner großen Verblüffung einer meiner Teller an der Wand – rechts und links neben ihm jeweils noch zwei weitere – allesamt meine üblichen gelben Essteller mit Tropfen und Spritzdekor. Sie sehen sehr schön aus, schimmern sehr schön im milden Kirchenlicht. Aber ich stehe doch in Gedanken, wie man sich denn zu einem so ungewöhnlichen Schmuck hatte entschließen – und meine Teller dermaßen hatte würdigen können.